Auch beim 17. ES-Unternehmerforum wurde für die Besucherinnen und Besucher wieder viel geboten: Bis zum Schluss – mit dem ersten Auftritt Christian Baumanns in der Rolle als neuer GVP-Präsident, gefolgt von VGZ-Verhandlungsführer Sven Kramer, der über den Stand der Verhandlungen zum neuen Tarifwerk gesprochen hat – gab es besonders viel Know-how aus erster Hand. Fest steht, derzeit beschäftigen sehr viele unterschiedliche Themen die Zeitarbeitsbranche und stellen sie vor riesige Herausforderungen: von Bürokratie über Fachkräftemangel und Kostendruck bis hin zu rechtlichen Rahmenbedingungen, Tarifverträgen und dem Vertrieb der Zukunft. Dass Personaldienstleister die Aufgaben durchaus meistern, Chancen ergreifen, sich weiterhin zukunftsorientiert aufstellen können und so wieder „vor die Welle“ kommen, zeigte sich in jedem der Experten-Vorträge beim ES-Unternehmerforum in Fulda. Damit bot das bedeutende Branchentreffen auch in diesem Jahr wieder eine wichtige Plattform für den offenen, persönlichen Austausch – unter anderem auf der begleitenden Fachausstellung mit einem neuen Rekord an 23 Ausstellern.

„Vertrieb, Vertrieb, Vertrieb“
Vor rund 190 Führungskräften aus ganz Deutschland beleuchtete zunächst Gastgeber Edgar Schröder den Wandel, den die Zeitarbeit durchlebt. Anhand aktueller Zahlen ordnete er die Entwicklung der Branche ein: „Wir haben seit November 2023 wirklich schwierige Kennzahlen“, so Schröder. Die gesunkene Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und ein extremer Auftragsmangel werden durch einen starken Anstieg der Insolvenzen im ersten Quartal 2024 zusätzlich belastet. „Ich bin allerdings zuversichtlich, dass es ab Juni wieder aufwärts geht und hoffe zudem auf positive Botschaften, beispielsweise von der ersten GVP-Mitgliederversammlung“, so Schröder. Der Berater der Zeitarbeit führte den Anwesenden deutlich vor Augen, welche Themen sie unbedingt im Blick behalten sollten, um auch zukünftig die eigene Wettbewerbsfähigkeit und den Unternehmensfortbestand zu sichern. Neben der Digitalisierung, die essenziell ist, gehören für Edgar Schröder der persönliche Kontakt zu den Kunden genauso wie die Stärkung der Attraktivität als Arbeitgeber dazu. Als letzten wichtigen Baustein wiederholte er erneut das Mantra „Vertrieb, Vertrieb, Vertrieb“, das alle Personaldienstleister aus seiner Sicht verinnerlichen müssen.

Krankenstand ist eine ‚Bettkanten-Entscheidung'
Ist krank wirklich krank? Dieser Frage ging Prof. Dr. Volker Nürnberg, Wirtschaftswissenschaftler, Gutachter im Gesundheitswesen und Partner bei BearingPoint, auf den Grund. In seinem Vortrag gab er dem Publikum einen Einblick in die Entwicklung der Krankenstände in den vergangenen Jahren und führte mögliche Gründe für deren starken Anstieg an. Der Experte betonte, dass mit der Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – kurz eAU – und der telefonischen Krankschreibung auch mehr Missbrauchsfälle in Hinblick auf die Krankmeldungen vorliegen. Doch ganz so einfach ist die Entwicklung laut Prof. Dr. Nürnberg nicht zu begründen: „Krankenstand ist eine ‚Bettkanten-Entscheidung" und hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab.“ Einer dieser Faktoren, der morgens darüber entscheidet, ob sich die Mitarbeitenden aufraffen oder doch wieder hinlegen, ist laut Prof. Dr. Nürnberg die Bindung ans Unternehmen. Gerade bei psychisch bedingten Erkrankungen, die immer häufiger vorkommen, kann eine hohe emotionale Bindung ans Unternehmen die Zahl der Fehltage verringern.

Digitalisierung? Noch viel Nachholbedarf
Die Krankmeldung ist mittlerweile digitalisiert – doch wie sieht es mit den Prozessen innerhalb der Unternehmen aus? Laut Florian Körber, Gründer und Inhaber der tutum GmbH, besteht hier noch viel Nachholbedarf. „Digitalisierung betrifft unsere Geschäftsmodelle, Arbeitsweisen und unsere Wettbewerbsfähigkeit“, betonte Körber. In seinem Vortrag präsentierte er aktuelle und sehr ernüchternde Zahlen: Demnach wissen rund 73 Prozent der Personaldienstleister, dass Digitalisierung eine sehr hohe Bedeutung hat – doch nur 23 Prozent beurteilen sich selbst als digital aufgestellt. Florian Körber stellte seine Digitalisierungs-Roadmap vor, anhand welcher Personaldienstleister ihr Handeln in fünf Feldern optimieren können, und gab praktische Tipps für den Start.

Umfassender Einblick in die Möglichkeiten von KI 
Wenn es um Digitalisierung geht, muss heutzutage zwangsläufig auch das Schlagwort „Künstliche Intelligenz“ fallen. Josef Buschbacher, Geschäftsführer der Corporate Learning + Change GmbH und Beirat der AEVO Digital GmbH, lieferte mit seinem praxisorientierten Vortrag dahingehend die passenden Denkanstöße. Der Experte zeigte auf, wie der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) extrem viel Freiraum im Büroalltag schaffen kann – die Zusammenfassung langer, komplexer E-Mail-Verläufe innerhalb von Sekundenbruchteilen war nur ein Beispiel hierfür. Mindestens genauso praktisch: Live vor Ort führte er den Einsatz der neuesten ChatGPT-Version vor, indem er Lebensläufe zusammenfassen, miteinander vergleichen und sich passende Fragen für ein Vorstellungsgespräch ausspielen ließ – ein umfassender Einblick in die Möglichkeiten von KI und wie sie künftig auch für Personaldienstleister zum Einsatz kommen könnte. Buschbachers Fazit: „KI wird die Arbeitswelt grundlegend verändern, dessen bin ich mir sicher. Wir können uns aber darauf vorbereiten.“

Initiative JOBLINGE – Zusammenarbeit mit Personaldienstleistern sinnvoll
Um bei all dem technischen Fortschritt nicht die Menschen aus den Augen zu verlieren, widmete sich Christiane Schubert, Managing Director der JOBLINGE gAG FrankfurtRheinMain, dem Thema Nachwuchskräftesicherung. In ihrem Vortrag standen die rund 630.000 jungen Menschen in Deutschland im Fokus, die bislang keine abgeschlossene Ausbildung haben. Aus der Praxis konnte Schubert berichten, wie man sie erreichen und motivieren kann: „Viele Jugendliche stecken zwischen einer kindlichen Selbstüberschätzung und zu geringem Selbstwertgefühl fest“, erklärte die Expertin die Hintergründe. „Wir haben hier keine homogene Gruppe und müssen immer wieder neu überlegen, wen wir eigentlich erreichen wollen.“ Die Referentin skizzierte die unterschiedlichen Gruppen, deren Ängste, Bedürfnisse und Beweggründe. Im Rahmen der anschließenden Fragerunde zeigte sich, dass eine Zusammenarbeit von Personaldienstleistern mit der Initiative JOBLINGE durchaus dazu beitragen kann, Jugendlichen den Einstieg ins Berufsleben zu erleichtern und sie als Nachwuchskräfte zu gewinnen. Erste Kontakte zwischen JOBLING und Teilnehmenden des Forums wurden dahingehend noch am gleichen Tag geknüpft.

Aktuelle und künftige Änderungen der Rechtsprechung 
Deutlich fachlicher, aber kein bisschen langweiliger, wurde es bei Prof. Dr. Björn Gaul. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei CMS Hasche Sigle rückte die aktuellen und künftigen Änderungen der Rechtsprechung gewohnt spannend vorgetragen in den Mittelpunkt. Er zeigte zunächst auf, worauf es bei der trennscharfen Abgrenzung von Werkverträgen sowie Arbeitnehmerüberlassung ankommt und ordnete auch aktuelle Gerichtsurteile ein. Darüber hinaus warf Prof. Dr. Gaul einen kritischen Blick auf den Entwurf des Bürokratieentlastungsgesetzes (BEG) IV und gab den Anwesenden konkrete Empfehlungen, wie sie sich im Zweifel absichern können. „Vorsicht bei gescannten Unterschriften – gerade bei Verträgen mit Befristungen. Die Beweispflicht, dass ein Arbeitsvertrag persönlich unterschrieben wurde, liegt hier beim Arbeitgeber.“ Eine genaue Dokumentation empfiehlt sich aus Sicht des Fachanwalts. Nicht zuletzt beleuchtete Prof. Dr. Gaul das Thema Einsatz von Drittstaatsangehörigen und unter welchen Bedingungen deren Einsatz in der Zeitarbeit vom Ausland aus möglich ist.

Frühzeitig alternative Geschäftsmodelle ins Auge fassen
Dann kam der langerwartete Auftritt des GVP-Präsidenten und CEO der House of HR Germany GmbH Christian Baumann. Er wandte sich unter dem Motto „Wir können mehr!“ ans Publikum. Den Anfang seines Vortrags machte eine nüchterne Bestandsaufnahme der aktuellen Situation: „Wir sind in der vielleicht längsten Zeit der Stagnation, bedingt unter anderem durch Corona, eine Exportschwäche, Ukrainekrieg und vieles mehr“, so Baumann. „Diese wirtschaftliche Volatilität ist für uns von enormer Bedeutung.“ Doch dann richtete der GVP-Präsident den Blick nach vorn und betonte, dass nach einer Zeit des Stillstands auch ein neuer Aufschwung kommt – genau dann sei die Personaldienstleistung gefragt und kann ihre Stärken ausspielen. Nicht warten, sondern machen: Der GVP-Präsident zeigte auch auf, wie wichtig es ist, frühzeitig alternative Geschäftsmodelle ins Auge zu fassen – etwa Personalvermittlung und Gewinnung von Arbeitskräften aus dem Ausland. „Wir müssen für uns Abweichungsstrategien entwickeln. Mit der Zeitarbeit wird auch weiterhin Geld verdient, doch das wird nicht reichen“, betonte Baumann.

Möglichkeit eines einheitlichen Branchenzuschlagstarifvertrags?
In der anschließenden Fragerunde mit Sven Kramer, VGZ-Verhandlungsführer und Mitglied im Präsidium des GVP, sowie Gastgeber Edgar Schröder drehte sich alles um das Thema Tarifwerk. Sven Kramer betonte, dass die Arbeit an einem neuen, gemeinsamen Tarifwerk derzeit im Fokus steht und verwies auf die laufenden Gespräche. „Wir hätten es uns einfach machen und eines der beiden bestehenden Tarifwerke nehmen können. Stattdessen wollen wir uns die Zeit nehmen und ein neues Tarifwerk entwickeln, von dem wir überzeugt sind und das für uns die beste Lösung bietet“, erklärte Kramer. Darüber hinaus gab er einen Einblick in die vergangenen Verhandlungen rund um das Thema Inflationsausgleichsprämie. In der Diskussion beleuchteten die zwei Experten auf der Bühne des ES-Unternehmerforums auch die Möglichkeit eines einheitlichen Branchenzuschlagstarifvertrags (TVBZ) und dessen Auswirkungen.

Alles bleibt anders
Den Abschluss setzte dann Veranstalter Edgar Schröder mit der Verkündung einer ganz besonderen News. „Wir bauen auf unsere lange Tradition und werden das Unternehmerforum innovativ weiterentwickeln. Fest steht, dass Edgar Schröder bleibt, dass wir in Präsenz zusammenkommen werden und wie immer auch unser Frühbucherrabatt gilt“, erklärte der Veranstalter die Zukunftsperspektiven des Forums und ergänzte: „Kurzum: Alles bleibt anders! Wir freuen uns, 2025 euch alle wieder zu sehen. Wie, wann und wo – lasst euch überraschen! Weitere Details werden wir natürlich rechtzeitig über unsere Kanäle verkünden.“

Aktuelle Foto- und Video-Impressionen finden Sie demnächst auf www.es-unternehmerforum.de

Fotos: © Regina Sablotny

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